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Reisebericht der
Geschaeftsfuehrerin |
Tibet
vom 7. September bis 8. Oktober 2003
Der Empfang durch die Kinder und Mitarbeiter des Projektes war
wie gewohnt sehr herzlich. Für die Kinder sind mein Mann und ich
Pola und Mola, was Großvater und Großmutter bedeutet. Alle
Kinder, auch die uns noch unbekannten waren ohne Scheu sofort vertraut
mit uns und blieben sehr anhänglich.
Auffällig ist die freundliche, warmherzige und
fröhliche Atmosphäre, die sich auch nach Tagen und Wochen
nicht
verliert. Wir fühlten uns einbezogen in eine große gut
funktionierende
Familiengemeinschaft.
Grossen Anteil daran haben durch ihr liebevolles Verhalten die
Hausmutter Ani-la, der Hausvater Nawang-la aber auch der
Torwächter Ludjü, die Köchin Yischi-la und alle Lehrer.
Die Schüler im Alter von etwa 6 bis 22 Jahre nehmen ihre
Organisation zum großen Teil selbst in die Hand. Die großen
übernehmen wechselnd die Verantwortung für die Kleinen. Die
Kinder, die länger im Projekt leben, weisen die neuen Kinder in
alles
Wissenswerte ein. Das geschieht von selbst, ohne, dass es aufgetragen
werden
muss. Es reicht vom Helfen beim Anziehen und Waschen, beim
Aufräumen,
über Hinweise zum Verhalten für eine funktionierende
Gemeinsamkeit
bis hin zum Unterricht in lebenspraktischen Fertigkeiten, Orientierung,
Anfänge der Brailleschrift und Unterricht in Gymnastik und Sport.
Ältere
Kinder sind tageweise nach Plan verantwortlich für die
Jüngeren. Die wurde von einem selbst einberufener Art von
Kinderparlament beschlossen, um durch diesen Einsatz die Arbeit der
Erwachsenen zu erleichtern. Kleine Vergehen, falsches Verhalten wird
unter den Kindern selbst geahndet. Erst, wenn sie miteinander nicht
weiterkommen, wenden sie sich an die Erwachsenen.
Beispiele:
Ein 6jährigesMädchen, Tse Jangson, hat die Mütze eines
anderen 6jährigen Mädchens, Tse Yudrun ins Brunnenwasser
geworfen. Das Opfer weint. Die zuständige Kyla (17 Jahre) stellt
die Schuldige zur Rede und verlangt eine Entschuldigung. Das Kind
weigert sich. Kyla hält sie fest und will sie dadurch zwingen. Das
Mädchen
wehrt sich, beginnt zu weinen und weigert sich weiter. Kyla lässt
nicht locker und gibt ihr einen Klaps. Das Mädchen schluchzt,
nimmt
die Mütze und hängt sie an einem Zweig zum Trocknen auf. Es
bleibt
einige Zeit mit dem Rücken zu den beiden anderen stehen, dann
dreht
es sich, immer noch schluchzend um, streichelt das Gesicht der kleinen
Kontrahentin, beide umarmen sich und Kyla ist zufrieden.
Abends im Mädchenschlafsaal
ist plötzlich Unruhe. Wieder ist gerade Kyla verantwortlich. Sie
rennt wütend mit einem schreienden, zappelnden Mädchen im Arm
aus dem Schlafsaal (wieder ist es Tse Yangson, 6 Jahre) hinaus
über
den Hof und sperrt es in den Keller. Kurz darauf sperrt sie ein zweites
Mädchen, Tse Lamo (6 Jahre) in einen anderen Kellerraum. Es stellt
sich heraus, dass die beiden sich den Toilettengang vereinfachen
wollten. Die eine hatte der anderen vorgeschlagen, einfach in die Hose
zu machen, was die auch prompt tat und die andere schlug vor in den
Papierkorb zu pinkeln, was ebenfalls geschah. Da der Papierkorb
Seitenschlitze hatte, floss alles auf den Boden. Die übrigen
Kinder beschwerten sich kräftig und begannen den Raum sauber zu
wischen. Die beiden Übeltäterinnen wurden nach einigen
Minuten wieder befreit. Sie kamen mit einem gewaltigen Schrecken davon.
Von solchen Ideen haben sie mit Sicherheit für die Zukunft Abstand
genommen.
Unterricht
Der Unterricht geschieht in drei verschiedenen
Klassen, in der Mouse-, Tiger- und in der Rabbit-Klasse. Jede Klasse
hat eine entsprechende geschnitzte Holzmaske an der Tür zum
Klassenraum.
Der Unterricht findet ganztägig statt, mit kurzen Pausen für
Erfrischungen zwischen den Stunden und einer dreistündigen Pause
zur Mittagszeit. Er beginnt im Sommer um 9 Uhr, im Winter (wegen
der Kälte) um 10 Uhr. und dauert bis 18.00 Uhr. Die Lehrer
unterrichten frontal, d.h. die Schüler sitzen dem Lehrer
gegenüber. Da die
Kinder neben dem gemeinsamen Nachsprechen und Auswendiglernen auch
immer
wieder allein arbeiten, während Lehrer oder Lehrerin zu ihnen
gehen,
wird der gemeinsame Frontalunterricht häufig durch
Einzelunterricht
abgelöst. Da die Kinder, wie die Testergebnisse zeigen, gut
vorankommen,
scheint sich diese Unterrichtsform zu bewähren.
Zur Maus-Klasse gehören die jüngsten Kinder von 4 bis 7
Jahren. Es handelt sich um einen vorbereitenden Unterricht, wobei die
geistige, die körperlich-motorische Geschicklichkeit und auch die
Fingerfertigkeit durch spielerische Übungen geschult werden, als
Vorbereitung für die Mobilitätsschulung und das Lesen der
Brailleschrift.
Sie erlernen zunächst einmal das Zählen. Die Kenntnis der
Zahlen von 1-6 sind wichtig für die Vorbereitung der
Brailleschrift. In spielerischer Form werden sie mit den 6 Punkten
vertraut gemacht.
Sie lernen das tibetische Alphabet als Sing-Sang (das
ist in Tibet üblich). Und sie bekommen einen ersten Eindruck von
anderen Sprachen über das Erlernen von Kinderreimen und Liedern in
Chinesisch und Englisch.
Im Musikunterricht sind sie mit den Schülern der
übrigen Klassen zusammen.
Nach den Vorgaben der Lehrerin für Physiotherapie aus der Schweiz
(Monique Assal) haben die Kinder der Maus-Klasse einen speziellen
Gymnastikunterricht bei Taschi Passang, einem Schüler der
Massageklasse. Sie trainieren mit ihm ihr Gleichgewicht durch spezielle
Ganzkörperübungen, z.T. mit grossen Gymnastikbällen.
Ihre Fingerfertigkeit trainieren sie durch Arbeiten mit Tsampa einem
Knetteig aus dem sie Figuren formen. Die notwendigen lebenspraktischen
Fertigkeiten, Anziehen, Aufräumen, Essen mit Stäbchen,
Abwaschen u.a.m lernen sie zum Teil im Unterricht, zum Teil von den
älteren
Kindern.
In die Tigerklasse werden alle neuankommenden älteren Kinder ab 7
Jahren aufgenommen.
Sie werden zunächst mit der Brailleschrift vertraut gemacht. Das
Erlernen der Sprachen in Sprechen, Lesen und Schreiben kommt hinzu,
zunächst Tibetisch, später auch Chinesisch und Englisch. Dazu
erlernen sie die Mathematikbraille-Schrift.
Sie erhalten Unterricht in Mobilität (z.B. Gehen
mit dem weißen Stock) und in Lebenspraktischen Fertigkeiten, d.h.
sie erlernen Techniken für das Sichzurechtfinden im Alltag
(Hygiene,
Aufräumen, Saubermachen). Sie haben darüber hinaus Musik,
Sport-
und Gymnastikunterricht.
Die Tiger- Klasse ist eine Art Orientierungsstufe. Neben Schreiben und
Lesen der Brailleschrift in verschiedenen Sprachen, den Techniken zur
Bewältigung und Kompensation ihrer Sehschwäche erwerben die
Kinder vor allem Selbstakzeptanz, Selbstachtung und den Mut ihre
Fähigkeiten und ihre Möglichkeiten realistisch
einzuschätzen.
Von der Tiger-Klasse aus können die lernbereiten
und lernfähigen Schüler- und Schülerinnen in die
Kaninchen-Klasse überwechseln.
In der Kaninchen-Klasse werden die erworbenen Kenntnisse besonders in
den Sprachen vertieft. Bei guten Englischkenntnissen kommt
Computerunterricht hinzu. Der Unterricht in der Kaninchen-Klasse
versteht sich als Vorbereitung zum Übergang in eine
öffentliche Schule für
Sehende. Von hier aus haben die Schülerinnen und Schüler die
Möglichkeit
in eine Mittelschule und später in die Universität
einzutreten.
Berufsausbildun
Von der Orientierungsklasse aus können die
Schülerinnen und Schüler auch eine der
Berufsausbildungsklassen wählen oder sie können die Schule
für Blinde und Taubstumme wählen, die jetzt in Lhasa
gegründet wurde.
Als Berufsausbildung werden bis jetzt die Ausbildung zum Musiker und
Entertainer und die Ausbildung zum medizinischen Masseur und
Physiotherapeuten angeboten.
Später sollen andere Berufe hinzukommen, wie
Käsehersteller, Gärtner, Tierpfleger, Teppichweber und
-knüpfer, Korbflechter, Töpfer und andere Berufe mehr.
Jede Massageklasse wird von einem in Chengdu ausgebildeten tibetischen
Lehrer für chinesische Massage drei Jahre lang geführt. In
jedem Jahr wird sein Unterricht ergänzt durch den Unterricht in
westlicher Physiotherapie durch die blinde Physiotherapeutin Monique
Assal aus der Schweiz. Die gesamte Ausbildung schließt ab mit
einem Zertifikat, das die Lizenz zur selbständigen Massage
enthält.
Zwei Schülerinnen haben im Oktober 2003 ihre dreijährige
Ausbildung abgeschlossen. Eine Schülerin und drei Schüler
sind im 2. Lehrjahr.
Ende Oktober 2003 hat der Counterpart TDPF (Tibet Disabled Persons
Federation) des Rehabilitations-und Trainings-Zentrums einen Lehrer der
Massage-Klinik aus Peking für 14 Tage eingeladen, um die
Fähigkeiten der Massage-Schüler zu prüfen und ihre
Kenntnisse zu ergänzen. Der Lehrer war begeistert von den
Fähigkeiten der Schüler. Da er sie nichts mehr lehren
könne, hat er ihnen lediglich noch Zusatzkenntnisse
vermittelt, wie Akkupressur gegen Bluthochdruck und Erkältungen,
um
danach allen, auch den Schülern des 2. Lehrjahres das Zertifikat
zur
selbständigen medizinischen Massage auszustellen. Das war für
sowohl
für den Massage-Lehrer als auch für seine Schüler und
für
das gesamte Projekt ein großer Erfolg.
Integration und Selbstintegration
Das Rehabilitations- und Trainingszentrum
ermutigt die Schüler und Schülerinnen zu ihren eigenen
Berufswünschen zu stehen und deren Realisierung anzustreben. Das
Zentrum berät und unterstützt sie bei der Umsetzung ihrer
Vorstellungen. So werden nicht nur anerkannte Blindenberufe
angeboten, sondern es werden den Vorstellungen der Jugendlichen
gemäss, gemeinsam neue Möglichkeiten für Blindenberufe
erforscht und versucht. Dies ist in Anfängen bereits
geschehen. Sehr viel Wert legt das Zentrum auf die Vorbereitung
einer gelingenden Selbst-Integration der blinden Schülerinnen und
Schüler in die Gesellschaft. Es ist die Einstellung des Zentrums,
dass Integration nicht von außen, von der Gesellschaft aus
für die Blinden erwartet, sondern von den Blinden selbst in
Angriff genommen werden sollte. Dazu benötigen sie starkes
Selbstwertgefühl, kompensatorische Techniken, Vertrauen in die
eigenen Fähigkeiten und Mut zu Alleingängen. Offenbar sind
diese Erziehungsschwerpunkte bereits auf fruchtbaren Boden gefallen.
Beispiele
Ein blinder Straßenmusiker unterrichtete vier musikbegabte
Jugendliche der Musikklasse in Komposition, Instrumentenspiel und
Gesang. Zwei seiner Schüler, das Zwillingspaar Jampa und
Dorje, haben vor, ein Teehaus aufzubauen, indem sie als
Entertainer arbeiten möchten. Da besonders Jampa mit seinen
chinesischen und englischen Sprachkenntnissen geeignet ist, sich
mit ausländischen Touristen zu unterhalten, zudem die Zwillinge
hervorragende Sänger sind, könnte ihr Plan Erfolg
haben. Er wird bereits mit der Hilfe von Paul umgesetzt. Der elterliche
Hausbesitz der beiden, an der Hauptstraße von Lhasa nach
Kathmandu gelegen, eignet sich nach einigen Umbauten sehr wohl als
Teehaus. Paul hat die Umbaupläne gezeichnet. Das Blinden-Zentrum
in Lhasa wird die Umbauten über einen Kredit im Rahmen von
Integrationsprojekten
finanzieren. Die Zwillinge haben das Zentrum bereits verlassen.
Chile, einer der ersten Jungen, die in das Zentrum gekommen sind, hat
sich ebenfalls entschlossen in sein Heimatdorf zurückzukehren, um
dort mit seinem außergewöhnlichen Gesangsvermögen,
der Komposition eigener Lieder und seinem Mundharmonika-Spiel als
Musiker
seinen Beruf auszuüben.. Er hat das Projekt ebenfalls verlassen.
Nudup, der inzwischen in der Musikklasse nicht nur zu
einem sehr guten Spieler auf der tibetischen Guitarre sondern auch ein
guter Sänger geworden ist, möchte ebenfalls in seinem
Heimatort
am Basecamp des Mount Everest ein Teehaus eröffnen. Zuvor aber
möchte
er im Zentrum seine Sprachkenntnisse in Chinesisch und Englisch
vertiefen.
Tendzin Medok, auch eine der ersten Schülerinnen
des Projektes, hat das Zentrum verlassen. Sie möchte mit ihrer
Mutter
gemeinsam eine Art Kindergarten aufbauen.
Die beiden ältesten Massageschülerinnen, Diggi 22 Jahre alt
und Kyla 17 Jahre alt, bauen sich gemeinsam in Lhasa eine eigene Praxis
auf.
Während meines Aufenthaltes habe ich mit ihnen
und der Hausmutter zusammen die notwendigen
Ausrüstungsgegenstände für die Praxis und den eigenen
Haushalt eingekauft. Sie suchen zur Zeit eine eigene Wohnung in
günstiger Lage mit einem Praxisraum. Das Zentrum unterstützt
sie finanziell solange bis sie auf eigenen Füssen stehen
können. Die beiden sehen den finanziellen Zuschuss als einen
Kredit, den sie zurückzahlen wollen. Ihre Sprachkenntnisse in
Chinesisch und Englisch geben ihnen die Chance auch Touristen zu
behandeln, womit sie bereits erfolgreich begonnen haben.
Drei Schülerinnen Yudron (15), Synam Bungso (13), Nyma(12) und ein
Schüler Gyenzin(15) haben während unseres Aufenthaltes im
September 2003 das Zentrum verlassen und sind an eine öffentliche
Schule übergewechselt. Die Schule gehört zum Distrikt
Medrogonga, etwa 80 km (eine Autostunde) von Lhasa entfernt. Sie liegt
auf dem Lande in Sichtweite der Kleinstadt Medrogonga. Die Schule wurde
von Schweden
gegründet. Sie ist eine öffentliche Internatsschule mit
anerkannt
gutem Niveau. Sie hat etwa 250 Kinder, von denen eine große
Anzahl
im Internat wohnt, so wie unsere Kinder auch. Obwohl sie älter
sind,
gehen unsere Kinder vorläufig in die 3. Klasse mit 10-11
jährigen
zusammen. Ihnen fehlt eine Ausbildung in naturwissenschaftlichen
Fächern,
die sie nachholen müssen. Da sie allgemein sehr gute Leistungen
zeigen
und in Sprachen, Schreiben und Lesen den anderen Kindern voraus sind,
wurde
ihnen angeboten, bei entsprechend guten Leistungen Klassen
überspringen
zu können.
Sie werden später die
Möglichkeit haben, von dieser Schule auf die Mittelschule und von
da auf die Universität zu wechseln.
Der Übergang wurde sehr gut vorbereitet. Zunächst wurden die
etwa 50 Schülerinnen und Schüler der 3. Klasse aus der Schule
in Medrogonga nach Lhasa ins Blinden-Zentrum eingeladen, um
die Umgebung und Lebensweise unserer blinden Kinder kennen zu lernen.
Sie bekamen zu essen und zu trinken wurden von unseren Kindern durch
die das gesamte Gebäude geführt, erlebten das Teehaus im
Dunkeln und sahen das neue Theaterstück.
Erste Freundschaften wurden geschlossen. Als unsere
Kinder dann in die Schule kamen, waren sie bereits bekannt und wurden
erwartet. Der Übergang in das neue Zuhause war dennoch für
unsere
Kinder nicht einfach. Sie wurden begleitet von Sabriye und Paul, der
Lehrerin
Kama Choedron, dem Evaluator Carlos Mondragon und mir. Wir
blieben
zwei Tage in ihrer Nähe. Zum Glück erhielten sie
zunächst
einen gemeinsamen Schlafraum. Matratzen, Bettzeug, Schultische und
Stühle
und für jedes Kind einen kleinen und einen großen bunt
bemalten
Metallkoffer für die persönlichen Besitztümer wurden von
uns
mitgebracht und so zusammengestellt, dass sie sich in ihrem Raum wohl
fühlen
konnten. Sie wurden dann von uns in einem Mobilitätstraining mit
der
Lage von Schlaf-, Eß-, Wohn, und Toiletten- und
Klassenräumen
vertraut gemacht. Die größte Schwierigkeit für unsere
Kinder
war zu Beginn, dass sie sich im entfernten Fluss waschen mussten, da es
in
der Schule kein fließendes Wasser gab. Zähne konnten sie
nicht
putzen, denn zum Zähneputzen war kein sauberes Wasser
da.
Als Paul nach den Ursachen fragte, erfuhr er, dass die Wasserleitung in
der
Erde gebrochen sei und die Schule für eine Reparatur mindestens
20.000
yuan benötige. Dies Geld sei nicht vorhanden. Paul wollte diese
Begründung
nicht glauben und versprach einen Wasserbauingenieur an die Schule zu
bringen.
Ein paar Tage später stellte sich durch dessen Untersuchung
heraus,
das Wasserproblem sei für wenig Geld schnell zu lösen. Sobald
die
vorhandenen Duschen, die inzwischen als Schweineställe benutzt
wurden,
gereinigt waren konnten alle Schulkinder die Waschräume benutzen,
was
bei der einbrechenden Winterkälte sehr viel angenehmer sein
dürfte,
als der Weg zum Fluss.
Eine weitere Schwierigkeit war, dass die in Brailleschrift von Sabriye
und Lobsang übertragenen Schulbücher trotz gleicher Ausgabe
nicht identisch waren mit den Büchern von Medrogonga, da sich die
Bücher von Stadt Lhasa und Land Medrogonga im Schwierigkeitsgrad
unterscheiden. Sabriye hatte die Stadtausgabe zur Vorlage gehabt. In
kürzester Zeit mussten die Schulbücher neu in Braille
geschrieben werden, womit Sabriye die folgenden Tage bis in die
Nächte hinein beschäftigt war, damit unsere Lehrerin Kama
Choedron nur wenige Tage später die neuen Bücher mit in die
Schule nehmen konnte. Sie fuhr dorthin, um mit Schülern und
Lehrern Lösungen für eventuell aufgetretene Probleme zu
finden.
Zwischen Lehrern in Medrogonga und
den
Mitarbeitern im Blinden-Zentrum gibt es eine gute Kommunikation.
Schwierigkeiten
werden versucht gemeinsam zu lösen. Unsere Kinder haben
verstanden,
dass sie sich nicht über Missstände an der Schule
beklagen
dürfen. Sie wissen, dass sie der Offenheit und Bereitschaft
dieser
Schule sich für blinde Kinder einzusetzen, eine große
Möglichkeit
für ihre Zukunft verdanken, und sie sollen und wollen sich und
nachfolgenden
blinden Schülern diese große Chance nicht durch
Nörgelei
zerstören, auch wenn nicht alles so angenehm ist, wie sie es vom
Blinden-Zentrum
her gewohnt sind.
Sie haben allerdings die Erlaubnis über alle
auftretenden Schwierigkeiten mit Sabriye und Paul und mit den
Mitarbeitern im Zentrum zu reden. Diese versuchen dann Lösungen zu
finden. Diese Vereinbarung hat sich zum Wohle beider
Institutionen schon bewährt, wie es an
dem Wasserproblem deutlich wird.
Heute fühlen sich unsere
Kinder an der neuen Schule wohl. Sie haben sehr schnell Freunde
gefunden. Schulleiter und Lehrer empfinden ihr Selbstverständnis,
ihre Fröhlichkeit und ihren Lerneifer als große Bereicherung
der Schulgemeinschaft. Alle zwei Wochen am Wochenende kehren unsere
Kinder selbständig mit
dem Bus ins Zentrum nach Lhasa zurück. Sie freuen sich „nach
Hause“
in „ihre Familie“ kommen zu können. Alle im Zentrum lebenden
Kinder
und Mitarbeiter erwarten neugierig und gespannt ihr Kommen und
ihre
Erzählungen.
Bei einer Engländerin erhalten sie an ihrem Lhasa-Wochenende
weiterführenden Englischunterricht, damit sie ihre guten
Kenntnisse nicht verlernen.
Inzwischen waren die beiden bisher skeptischen Leiter des Counterparts
TDPF selbst in Medrogonga, um das Integrationsprojekt
zu begutachten. Sie sind voller Achtung und sehr beeindruckt
zurückgekommen. Beide sind jetzt überzeugt, dass durch die
Arbeit des Blinden-Zentrums in Tibet die Integration von Blinden in die
Gesellschaft gelingen kann.
Neue Kinder
Da inzwischen die ersten 10 Kinder das Projekt
verlassen haben, können neue Kinder aufgenommen werden. Auf der
Warteliste stehen bereits 30 Anmeldungen. Die Bedürftigkeit ist
das Hauptkriterium. So wird ein später angemeldetes blindes
Waisenkind einem Kind aus
intakter Familie zunächst einmal vorgezogen.
Da die Übergangswege in Berufe und andere Schulen jetzt
beschritten werden können, werden die Wartezeiten hoffentlich
nicht mehr so lang sein.Fast alle 10 neuen Kinder sind bereits da. Sie
sind jetzt im Schnitt jünger als die früheren.
Auto
Paul hat einen chinesischen erhalten und hat
die Erlaubnis in China und speziell auch in Tibet einen eigenen Wagen
zu fahren. Daraufhin hat er für das Projekt eine
Allradangetriebenen
Nissan Pickup Truck gekauft, der dem Projekt bereits gute Dienste
leistet.
Der Wagen hat mit Versicherung Steuer und Anmeldung etwa 22.000 Euro
gekostet
Farmprojekt
Das Farmprojekt oberhalb von Lhasa hat keine
Aussicht mehr auf Erfolg. Die Besitzer lassen nicht mehr mit sich
reden.
Offenbar sind lukrativere Angebote gemacht worden.
Inzwischen hat das Zentrum aber eine andere Möglichkeit in
Aussicht. Ein großes Gelände bei Shigatse, das einer
tibetischen sozialen Organisation gehört, die es dem Schweizer
Roten Kreuz kostenlos zur Verfügung gestellt hatte, wird jetzt
frei und soll dem Blinden-Zentrum übergeben werden. Auf diesem
Gelände steht ein Haus in tibetischen Stil, das Paul für die
Schweizer designed und gebaut hat, als er
im ersten Jahr in Tibet war. Es wird in den nächsten Wochen
entschieden, ob die Übergabe möglich ist. Die Zeichen stehen
sehr günstig.
Sabriye, Paul, mein Mann und ich sind mit dem neuen Auto nach Shigatse
gefahren, um das Gelände anzusehen.
Das Gelände ist wesentlich größer, als das vorige und
wäre für zukünftige Projekte äußerst
geeignet. Ein großer Vorteil liegt darin, dass dieses
Gelände nicht gekauft werden muss. Es würde dem Zentrum
kostenlos übergeben werden. Allerdings ist Shigatse etwa eine
Tagesreise von Lhasa entfernt. Da das Farmprojekt aber sowieso getrennt
von dem Schulprojekt geplant ist, sollte die Entfernung kein Hindernis
sein.
Memorandum of Understanding
Ein zusammen mit einer chinesischen
Rechtsanwältin ausgearbeitetes Memorandum of Understanding
wurde im Oktober vom Counterpart und vom Foreign Affairs anerkannt und
unterzeichnet. Damit ist das Projekt rechtlich in einer neuen Form
gesichert.
Filmprojekt
Uwe Goos, der Filmemacher des ersten Dokumentarfilms über das
Projekt, der vom NDR in Auftrag gegeben wurde, hatte den Auftrag und
das Geld für einen Nachfolgefilm erhalten und war mit seinem Team
zur gleichen Zeit, wie wir in Tibet. Thema seines Films war diesmal,
einen
blinden Jungen, der noch nie in einer Schule war, in seinem Dorf zu
filmen,
ihn nach Lasa zu begleiten, die Aufnahme in die Blinden- Schule zu
dokumentieren
und nach den ersten Tagen des Eingewöhnens, die ersten
Eindrücke
des Jungen von seiner neuen Umgebung zu zeigen. Für dieses
Konzept hat er von der chinesischen Botschaft alle Genehmigungen
erhalten, durfte aufs Land, um dort zu filmen- für einen
Ausländer sehr ungewöhnlich- und durfte bei der Prüfung
durch das Foreign Affairs alle Filme mit gedrehten Szenen nach
Deutschland ausführen. Das Filmmaterial wurde
mit großem Interesse begutachtet und sehr gelobt.
Der Film wird um die Weihnachtszeit im Fernsehen gezeigt werden.
Touristenführungen
An zwei Nachmittagen in der Woche können Touristen
das Zentrum besuchen. Da Paul und Sabriye sehr beschäftigt waren,
habe ich während unseres Aufenthaltes die Führungen
übernommen. Die Touristen kamen aus aller Welt. Sie hatten das
Buch gelesen, das inzwischen in 13 Sprachen übersetzt wurde oder
sie hatten in Print- und anderen Medien vom Projekt gehört. Die
meisten waren sehr gerührt und beeindruckt von der Lebendigkeit
der Schülerinnen und Schüler
und auch von der Schönheit des Gebäudes
Ich hatte nach Möglichkeit Kyla bei mir, die ich
für zukünftige Führungen vorbereiten wollte. Sie hat
immer
wieder Teile der Führung übernommen, was die Leute sehr
beeindruckt
hat. Kyla wird die Führungen in Zukunft übernehmen und sich
damit
ein Taschengeld verdienen. Nach der Führung haben die Touristen
die
Möglichkeit eine Spende zugeben, Postkarten und Tshirts mit dem
Logo
zu kaufen. Diese Gelegenheit der Unterstützung wird meistens
bereitwillig
genutzt.
Zeitungen
Artikel im New Yorker, New York Times, Hong Kong Morning Post sind gute
Artikel erschienen auf die aus aller Welt positive Resonanz in Form von
e-mails und von Spenden gekommen sind
Auszeichnung
Am 5. Oktober wurde Sabriye und Paul durch den
holländischen Botschafter in Lhasa die Ritterschaft für
Oranien und Nassau angetragen. Sie haben diese in Holland sehr hohe
Auszeichnung beide erhalten. Eine deutsche Touristengruppe hatte sich
sowohl an die
niederländische als auch an die Deutsche Regierung gewendet und um
eine Auszeichnung der beiden gebeten. Die niederländische
Königin
hat sich in Beratung mit ihrem Botschafter in China für diesen
hohen
Orden entschieden. Es ist ungewöhnlich, dass eine Ausländerin
diesen Orden erhält.
Der Botschafter hatte ein Fest organisiert mit tibetischen Musikern,
einem großen Buffet und der Einladung sämtlicher in Tibet
arbeitenden NGOs. Dies alles hinter dem Rücken von Sabriye und
Paul, die nichts ahnten.
Zusätzlich wird die niederländische Regierung mit 25.000 Euro
den Aufbau einer Käserei finanzieren und auf Kosten der Regierung
einen Käser nach Lhasa schicken. Dies soll geschehen, sobald ein
geeignetes Farmland gefunden ist.
Feste
Sabriyes 33. Geburtstag wurde mit einem Tanzfest
im Dunkel gefeiert. Wangyla vom Counterpart, viele Freunde und
selbstverständlich alle Mitarbeiter und Kinder nahmen an der
ausgelassenen Tanzerei im dunklen Teehaus teil und genossen das
üppige Essen und die schmackhaften
Getränke auf dem Hof.
Zu unserem Abschied haben mein Mann und ich alle Freunde, Mitarbeiter
und Kinder des Zentrums zu einem chinesischen Abendessen in ein
Restaurant eingeladen und anschließend zum Nangma- Singen in
einen Nachtclub, mit einer Show bei der von Tänzern tibetische
Volkstänze getanzt und von professionellen Sängern tibetische
Lieder vorgetragen wurden. In den Pausen haben unsere Kinder gesungen.
Später haben wir alle sehr ausgelassen miteinander getanzt wobei
sich die übrigen Gäste mit viel Spaß beteiligten. Auch
die beiden Chefs unseres Counterparts waren dabei und haben uns immer
wieder versichert, wie glücklich sie über die Entwicklung des
Zentrums seien und wie stolz auf die großartigen Erfolge.
Mitarbeiter und Kinder blieben bis weit nach Mitternacht
und haben diesen Abend sehr genossen.
Evaluationsbericht
Der Anthropologe Dr. Carlos Mondragon von der
Oxford University war zur gleichen Zeit dort, wie wir, um im Auftrag
der Regierung eine Evaluation des Zentrums durchzuführen. Der
abschließend sehr positive Bericht liegt uns vor und kann
eingesehen werden.
Projekte
1. Konstruktion einer neuen Braille-Maschine
Birte van der Horst, Feinmechanikerin und Ingenieurin
arbeitete im Frühjahr zusammen mit Paul in Hamburg an der
Konstruktion
einer neuen handlichen Braille-Maschine, die in Zukunft für die
Blinden
der Welt preiswert, einfach in der Nutzung und leicht zu
reparieren,
zugänglich werden soll. Birte hatte sich Urlaub genommen, um in
Tibet
in der kleinen Werkstatt des Projekts das neue Modell weiter zu
entwickeln. Sie arbeitete bis zum letzten Tag ihres Aufenthaltes
daran. Das Ergebnis war für Birte und Paul recht
zufriedenstellend.
Eine gute Basis für einen zukünftigen Erfolg wurde geschaffen.
Paul hatte über einen Sponsor in Peking dieses Projekt finanziert
bekommen, so dass Birte die Reise und die Arbeitszeit vergolten werden
konnte.
2. Aufbau eines neuen Projektes in
Leh/Ladakh.
Sabriye ist zur Zeit in Ladakh um dort ein neues Ausbildungszentrum
aufzubauen
Theateraufführung
Eine Ausstellung der Hygiene Abteilung von Safe
the Children hat unsere Kinder sehr angeregt Geschichten zu Umwelt zu
erfinden. Die Geschichte „What a beautiful Sight“ von Kyla wurde von
Kindern und
Mitarbeitern zu einem Theaterstück umgearbeitet, das in bunten
Kostümen,
mit vielen Songs, Tänzen von allen unseren Kindern sowohl
Tibetern , etwa 150 waren gekommen, als auch Ausländern
vorgeführt wurde. Es hatte großen Erfolg. Da das
Umweltbewusstsein in Tibet bei Kindern und Erwachsenen noch sehr im
Argen liegt, plant Safe the Children mit
unserer Theatergruppe eine kleine Tournee zu starten. Sabriye will das
Theaterstück als Hörspiel herausbringen, so dass es in
Schulen
als Denkanstoß vorgespielt werden kann.
Cornelia van der Horst-Tenberken
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