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 JAHRESBERICHT 2008

Liebe Freunde und Förderer,

Es geschieht nicht sehr oft, dass man morgens mit dem Gefühl aufwacht, dass von nun an ein neuer Lebensabschnitt beginnt.

Es war um 6:30 Uhr in der Frühe, eine kühle Brise zog vom See herauf. Paul und ich liefen über die frisch gepflasterten Wege zwischen den noch leeren Gebäuden, als wir plötzlich von dröhnendem Gelächter begrüßt wurden. Die ersten drei Teilnehmer waren angekommen und saßen bei Kaffee und Bananen im sonnigen Auditorium des IISE. Eric und Julius aus Ghana und Hussni aus Saudi Arabien, alle drei in schicken Anzügen und geputzten Schuhen. "We made History!" riefen sie uns entgegen. "We are the first participants who entered this building!"


Several Participants
Von Links nach Rechts: Martin and Holi. (Madagascar), Pynhoi (India),
Mohamed (Sierra Leone), Kyila (Tibet/China), Sahr (Liberia) and Eric (Ghana)

Zwei Tage lang fuhren wir zwischen dem IISE-Campus und dem Flughafen hin und her. Endlich, mit dem Eintreffen unserer tibetischen Teilnehmer Kyila und Gyendsen, waren wir fast vollzählig. Nur die vier Liberianer waren irgendwo auf dem Weg zwischen Monrovia und Lagos verloren gegangen.

Niemand schien sie auf dem Flughafen in Lagos gesehen zu haben. Eigentlich merkwürdig, denn vier blinde Reisende auf einen Schlag sieht man doch nicht gerade häufig.

Wir waren voller Sorgen, sie hatten kein Geld, um sich etwas zu essen zu kaufen. Auch hätten sie uns nicht anrufen können. Dank eines freundlichen Mitarbeiters der zuständigen Airline konnten wir sie aber dann doch nach 24-stündiger Suche wieder auffinden. Das Hallo war groß und alle wurden mit einer Party, mit Tanz, Gesang und Getrommel begrüßt.

Ein Rückblick ins Jahr 2008 fällt uns bei all den neuen Eindrücken nicht leicht. Da wir seit September selbst nicht mehr in Tibet waren, haben wir Nyima, Yudon und Mike gebeten, einen kurzen Überblick über die Geschehnisse in Lhasa und Shigatse zu schicken.

Nyima und Yudon:
Nach den Unruhen im letzten März (siehe dazu auch den Halbjahresbericht von Juli 2008), hat sich Tibet wieder beruhigt. Es gibt wieder ein paar Touristen, aber nicht besonders viele.

Der Massage Klinik geht es auch deswegen nicht so gut wie im Jahr 2007, aber Tashi und Tendsin haben große Hoffnungen für 2009.

Wir haben neue Kinder aufgenommen. Am Anfang waren sie ein wenig schüchtern, aber das hat sich schnell gelegt. Viele unserer Schüler sind in die reguläre Schule aufgenommen worden und die Lehrer sind sehr überrascht und freuen sich über die blinden Kinder, denn sie lernen schnell.

Vier Schüler lernen jetzt in der Massage-Klinik und sie leben auch in einer Wohnung außerhalb der Schule. Ngudup studiert Musik und sein Lehrer ist sehr stolz auf seinen einzigen blinden Schüler. Er sagt, dass viele sehende Schüler sich nicht wirklich für eine gute Ausbildung interessieren. Aber Ngudup nimmt seinen Unterricht sehr ernst und ist außerdem sehr talentiert.

Schueler fuehlen ein Bild
Schueler in Lhasa befuehlen ein taktiles Bild.

Wir hatten im letzten Jahr zwei Freiwillige. Sie haben uns sehr geholfen. Lobsang ist immer noch hier. Seine Eltern möchten, dass er eine ‚richtige’ Arbeit macht, aber bei uns ist er, wie er sagt, glücklich. Er sieht uns als Freunde, sieht keinen Unterschied zwischen Blinden und Sehenden und ärgert sich über Leute, die sich schämen, mit Blinden durch die Stadt zu laufen.

Am 15. Oktober haben wir den Tag der Blinden vor dem Potala gefeiert. Das machen wir jedes Jahr, aber in diesem Jahr gab es nicht so viele Menschen. Dafür haben wir dann in der Schule eine Party organisiert und auch andere Blinde eingeladen.

In diesem Jahr haben wir den internationalen Tag der Behinderten mit einem Schreibwettbewerb gefeiert. Drei unserer Schüler haben die Gold-, die Silber- und die Bronze Medaille bekommen. Die Preise wurden von der „Tibet Disabled Persons Federation“ und von „Handicapped International“ vergeben.

Wir haben zwei sehr nette neue Lehrer ausgesucht und eingestellt. Jetzt haben wir sechs Lehrer. Zwei von uns waren drei Wochen in Shanghai in einer internationalen Schule und haben neue Unterrichtsideen mitgebracht. Sie haben viel von unseren Schülern erzählt und alle waren froh über den Austausch.

Adrun und ich wurden im November von Bild der Frau nach Berlin eingeladen. Adrun mochte das Essen und die Leute, ich mochte Berlin und vor allem den Zoo.

Sabriye:
Nyima und Adrun stürmten als Überraschungsgäste auf die Bühne, als mir der Publikumspreis der Bild der Frau in Berlin überreicht wurde. Paul und die Mitarbeiterinnen der Bild der Frau hatten alles hinter meinem Rücken organisiert. Es war für mich und das Publikum eine Riesenüberraschung.

Bild der Frau Preisverleihung in Berlin
Preisverleihung der "Goldene Bild der Frau" Von links nach Rechts:
Ursula von der Leyen, Kai Pflaume, Nyima, Sabriye und Adrun.

Liebe Freunde, Förderer und Mitglieder, ich möchte mich in diesem Rahmen noch einmal ganz herzlich für Ihre Stimmabgabe bedanken. Denn aufgrund der vielen abgegebenen Stimmen haben wir für Tibet diesen tollen Preis bekommen, einen Preis, der uns in den schwierigen Zeiten von 2008 sehr über die Durststrecke geholfen hat.

Paul:
Und es gab in diesem Jahr noch reichlich Anerkennungen:
Den „Hands on Award“ (New York), vergeben durch die National Braille Druckerei und den
„Life Award“ (Österreich, Linz), eine Art Oscar für Behinderte. Sabriye bekam die Statue aus den Händen von Geraldine Chaplin.

Und aus China gab es folgende Nachricht:

„Ein Riesenreich verbeugt sich
Chinesische Regierung würdigt die Arbeit der Swisttalerin Sabriye Tenberken in Tibet“

„Neben den beiden Russen Lenin und Stalin nahmen auch zwei Deutsche auf Chinas Revolutions- und Aufbauzeiten im letzten Jahrhundert Einfluss: Karl Marx und Friedrich Engels. Für die jüngsten 30 Jahre der Reformen und Öffnung, die der Volksrepublik zum weltweiten Aufstieg ins 21.Jahrhundert verhalfen, waren Ideologen jedoch nicht mehr gefragt„

„Die Zeitschrift "International Talent Monthly", herausgegeben vom chinesischen Außenministerium, reiht die 38-Jährige, die in Swisttal-Morenhoven aufgewachsen ist und heute in der tibetischen Hauptstadt Lhasa lebt, in die Liste der 15 einflussreichsten ausländischen Personen der vergangenen 30 Jahre in China ein.“

Die Auszeichnung freut uns natürlich sehr, denn das bedeutet, dass unser Projekt nicht nur von oberster Stelle anerkannt wird sondern dass auch Blinde  in der Gesellschaft Einfluss nehmen können.

Sabriye:
Wir sehen diese Auszeichnung als Auftakt für unser neues Projekt: Das Zentrum für 23 hoch motivierte Teilnehmer aus 14 verschiedenen Ländern -  ein kochender Vulkan voll Kreativität und Ideen, voll Geschichten und Aktionen. Wir haben alle Hände voll zu tun, vielleicht hatten wir noch nie so wenig Schlaf, aber wir waren auch noch nie so energiegeladen wie in dieser Zeit.

Audit at night
Auditorium am Abend

Mike:
Übersicht der Geschehnisse in der Farm in Shigatse: 

KÄSEPRODUKTION / MARKETING
Eine nationale Supermarktkette mit verschiedenen Läden in Tibet hat sich bereit erklärt, unsere Milchprodukte zu vermarkten und spezielle Marketing-Anzeigen in ihren Geschäften in Tibet zu veröffentlichen.

Dieser Schritt erforderte Kontrollen durch die lokale Gesundheitsabteilung, die nationale Abteilung für Nahrungsmittelhygiene, eine Abteilung für den Umweltschutz und durch das Finanzamt. Vier Prüfer vom nationalen Ministerium für Lebensmittelsicherheit kamen zu einem überraschenden Kontrollbesuch. Sie waren von dem, was sie sahen, sehr beeindruckt und erteilten der Käserei und der Farm eine offizielle Lizenz zum Gebrauch von regierungsamtlichen Sicherheitsfirmenzeichen für unsere Produkte. Es ist natürlich schon  eine Herausforderung, die Nachfrage zu befriedigen und gleichzeitig den Standard, für den wir amtliche Zustimmung gewonnen haben, beizubehalten.

UMWELT FREUNDLICHE ECOSAN-TOILETTEN:
Die ersten selbstgebauten Kompostierungs-Toiletten wurden dieses Jahr durch professionelle Modelle ersetzt. Die neuen Modelle werden in Guangdong hergestellt. Sie wurden auch während der Olympischen Spiele in Beijing genutzt. Auch wurde eine neue Reihe von ECOSAN-Toiletten für Personal und Kursteilnehmer näher an den Aufenthaltsräumen gebaut. Diese Toiletten

scheiden Urin und Fäkalien, und das ohne Wasser. Zusätzlich wurden Minigewächshäuser über den Fenstern an der Südseite der Kompostierungsanlage gebaut. Dies beschleunigt den Kompostierungsprozess erheblich, vor allem im kalten tibetischen Winter.

farm summer 2009
Farm in Shigatse Sommer 2008

BRAUCHWASSER
Um die Natur weiter zu schützen, wurde entschieden, überall in der Farm, wo Wasser verbraucht wird,  z.B. für Wäsche, Duschen, Geschirrspülen, Küche usw Grau-Wasser-Sammelpunkte zu konstruieren. Diese basieren auf einer septischen Tankkonzeption mit 3 Räumen. Der dritte Raum ist einfach ein

grauer Wasservorratsraum mit einer manuellen/elektrischen Pumpenwahl für die Extrahierung des Grauwassers für den Gebrauch in den Gewächshäusern, Blumengärten, auf dem Felde und -  gestatten Sie es uns -  für eine Eis-Hockey Bahn.

GEWÄCHS HÄUSER – KÜCHE - GARTENARBEIT
Vier unserer sechs Gewächshäuser sind unter Verwendung der Ladakh-Methode, erneuert worden. Diese Methode wurde genutzt, da die klimatischen Verhältnisse auf der tibetischen Hochebene dem extrem kalten Winter in Ladakh sehr ähnlich sind. Die strengen Winter erfordern externe Winterdecken, um die während des Tages aufgestaute Hitze in der Nacht im Gewächshaus zu speichern. Die externen Decken werden trotz aufwendiger Verankerungen von den heftigen Winden weggeweht und verursachen dadurch erheblichen Schaden. Um sie wieder in Stellung zu bringen, müssen Mitarbeiter aufs Dach, was wiederum Schaden verursacht. Die Ladakh-Methode beseitigt die Notwendigkeit der zusätzlichen Winterdecken. Da es im Gewächshaus keine Säulen mehr gibt, kann man innen „Vorhänge“ wie eine Gardine unter das Plastikdach schieben. Es entsteht dadurch eine große „Luftkammer“, die das ganze Gewchshaus isoliert. Sie werden, beim Arbeiten während des Tages leicht beiseite geschoben und am Abend wieder geschlossen. Auch schützt diese Methode vor Schaden von heftigen Stürmen, die Tibet jährlich von Januar bis April heimsuchen.

KOMPOST ANLAGE
In der Kompostierungsanlage wurde im letzten Jahr über 2 Tonnen Kompost produziert.

TEPPICH-KNÜPFEN / STRICKEN
Während die Produktionsmethoden dieselben blieben, (traditionelle tibetische Webgerüste, Nutzung  natürlicher Farben, etc.) hat das Projekt dieses Jahr damit angefangen, Wolle direkt von den umgebenden tibetischen Dörfern zu kaufen. Da wir jetzt das Kardieren und das Spinnen des Garns selbst machen, hat dies den Vorteil, dass der Zwischenhändler ausgeschaltet wird und wir größere Kontrolle über die Qualität des Garns haben. Da die Kursteilnehmer für das tibetische Neujahr zuhause bei den Eltern sind, füllen unsere Mitarbeiter die langen Winterabende mit dem Spinnen von Garn, um den Ofen im Esszimmer und trinken dabei süßen Tee.

5 Ex-Schüler der Teppich Knüpferei / Strick Ausbildung leben und arbeiten mittlerweile in Shigatse. Da in 2008 der Tourismus stark abgenommen hat und die Ex-Schüler das erste Mal auf eigenen Füßen stehen, hat BWB  ein Mikro-Darlehen vorgestreckt, welches sie in den folgenden 3 Jahren zurückerstatten.





BIOBÄCKEREI
Der Rohbau der neuen Bäckerei  ist mittlerweile fertig. Jetzt muss aber noch die Einrichtung und der Feinschliff gemacht werden.  Die Landschaftsgestaltung um die Bäckerei hat zwar angefangen, aber nachdem der Winter  früher als erwartet eingesetzt hat, sind die Saisonarbeiter zu ihren Dörfern zum Feiern des neuen Jahres zurückgekehrt. Hoffentlich wird alles im Sommer fertig werden, damit der tibetische Bio-Bäcker aus Berlin das Training starten kann.

VIEHWIRTSCHAFT
Im Sommer wurden zwei Sonnenschutzdächer für die Kühe und Pferde konstruiert. Durch Reaktivierung und Renovierung eines alten Brunnens wurde die Wasserversorgung für unsere Tiere fertig gestellt. Ein junger Stier wurde gekauft und ist jetzt der stolze Vater von zwei Töchtern und von einem Sohn.

LANDWIRTSCHAFT
Sechs weitere „mu“ (1 mu = 666.66 m2, also 4000 m2) Land wurde für den landwirtschaftlichen Gebrauch umgewandelt. Jetzt ist die  für die Landwirtschaft zur Verfügung stehende Landmenge auf 96 mu (64000 m2) angewachsen.  Getreidesorten, die auf diesem Land angebaut werden, sind Frühjahrsweizen, Sommergerste, Roggen, Winterweizen, Hafer, Rapssamen (canola), Sommergerste, 2 Kartoffelsorten. Durch die Mischung der „Erträge“ aus Ecosan-Toiletten  und Kompostierungsanlage kam die Kartoffelernte auf 32.8 Tonnen.

NEUE KURSE
Musik: die ersten Schritte zu einer Abteilung Musik sind gemacht. Räume sind schon eingerichtet. Traditionelle tibetische drobnyes (tibetische Gitarren) und andere Instrumente sind auch schon vorhanden. Direkt nach den Lossar-Ferien wird Ngudup aus Lhasa seinen neuen Job als Musiklehrer beginnen.
Englisch:
Ein neuer Englischlehrer ist für die Kursteilnehmer und das Personal eingestellt worden.

BESUCHER
Im Jahre  2008  gab es keinen Besuch von Touristen, umso mehr von Regierungsbeamten,   vom Außenministerium, PSB, und TDPF.

Dr. Marc Liebermann aus der USA richtete ein Mini Augen Operationscamp für unsere Kursteilnehmer und unser Personal ein. Einer unserer Kursteilnehmer, Lobsang, wurde erfolgreich an Katarakt operiert. 

Paul und Sabriye:

Wir hoffen bald, unsere neue Webseite www.bwb-iise.org mit all den Artikeln und Tagebuchnotizen unserer Teilnehmer zu eröffnen.

Im Namen aller Schüler, Teilnehmer und Kollegen in Tibet, Indien und in vielen anderen Ländern, möchten wir uns ganz herzlich für all die Unterstützung, Wünsche, Ideen und Vorschläge bedanken.

Mit vielen Wünschen und herzlichen Grüßen aus einem Zentrum voll Gelächter, Diskussionen, Gesängen und Zukunftsvisionen,

Ihre Sabriye Tenberken, Ihr Paul Kronenberg.

IISE TEam 2009
IISE - TEAM 2009


 
Mehr Informationen finden Sie auf unseren Webseiten:
www.braillewithoutborders.org und www.blinden-zentrum-tibet.de